Das erste Watch Dogs erschien vor ziemlich genau zwei Jahren und ist bis heute kein Spiel, worauf Ubisoft stolz sein kann. Die Grafik war schlechter als in Trailern angepriesen, der Protagonist Aiden Pearce war langweilig und humorlos, das Hacken war eher ein nettes Gimmick, die Story war aus dem Rachefeldzug-Einmaleins und die Fahrzeugsteuerung war mittelmäßig. Der Schauplatz Chicago war auch nicht gerade aufregend. Watch Dogs war hauptsächlich ein Deckungs-Shooter mit Fahreinlagen. Ubisoft hat allgemein in den letzten Jahren viel Kritik einstecken müssen, meistens auch zu Recht. Umso mehr freue ich mich, dass Ubisoft mit Watch Dogs 2 endlich die Kurve gekriegt hat. Die Entwickler haben sich offensichtlich mit der harten Kritik des ersten Teils auseinandergesetzt und nun ein Spiel abgeliefert, das in allen Punkten besser ist. Dieses Spiel lebt die Hackerkultur, den Hacktivism, das Hipstertum und was sonst noch alles mit “H” anfängt geradezu vor. Gehen wir also ins Detail.
Der neue Protagonist ist Marcus Holloway, auch bekannt unter dem Hackernamen “Retr0”. Er ist wirklich das komplette Gegenteil von Aiden Pearce, nicht nur was die Hautfarbe betrifft. Marcus ist jung, optimistisch, hat coole Klamotten an und lockere Sprüche drauf. Er gehört zur Hackergruppe DedSec, deren andere Mitglieder nicht weniger cool und außergewöhnlich sind. Manche könnte man als Hipster bezeichnen, aber das ist keinesfalls böse gemeint und passt auch sehr gut zum Setting. Da ist der stille Josh, der wegen seines Asperger-Syndroms oft schüchtern wirkt, dafür aber das Hacker-Genie der Truppe ist. Sitara dagegen ist das einzige weibliche Mitglied und hat indische Wurzeln. Sie ist vor allem für künstlerische Dinge und Social Networking zuständig; sie entwirft also z.B. Logos und sorgt dafür, dass DedSec mehr Fans bzw. Follower für sich gewinnt (Follower sammelt man übrigens ständig durch das Erledigen von Aufgaben und Missionen, vergleichbar mit Erfahrungspunkten). Der mechanisch begabte Wrench ist wohl der speziellste Charakter, denn er trägt immer eine Maske mit eingebauter elektronischer “Pixel-Brille”. Als Ersatz für Mimik kann er mit dieser Brille durch alphanumerische Zeichen Emotionen ausdrücken, ähnlich wie bei Emoticons. Ein Stimmenverzerrer ist auch noch eingebaut, was ihn umso mysteriöser macht. Es würde mich nicht wundern, auf zukünftigen Spielemessen und Conventions reichlich Wrench-Cosplays zu sehen.
Aber was will DedSec überhaupt erreichen? Ähnlich wie im ersten Teil geht es wieder darum, das stadtweite Überwachungsnetzwerk ctOS lahmzulegen (diesmal ctOS 2.0), denn ctOS kennt sämtliche Daten jedes Bürgers und die Betreiber von ctOS können diese Daten nach Herzenslust missbrauchen. Der Konzern Blume Corporation, der dahinter steckt, wirbt mit hoher Sicherheit für die Bürger, denn wenn alles über jeden bekannt ist, können natürlich auch Kriminelle zuverlässiger ausfindig gemacht werden. Es ist kein Zufall, dass das alles doch stark an unsere echte Welt erinnert. Doch wir sind nicht mehr in Chicago, sondern in der San Francisco Bay Area, die auch perfekt für dieses Genre und für diese Thematik geeignet ist. Denn zu diesem Gebiet gehört nicht nur das bei Hipstern, Hippies und Künstlern beliebte San Francisco, sondern auch das Silicon Valley, Inbegriff für IT und High Tech.


Wir haben also schon mal interessante Charaktere mit Humor und einen guten Schauplatz, doch was ist mit dem Rest? Die Story, die in den Haupt- und Nebenmissionen erzählt wird, macht einfach Spaß. Genau das fehlte beim ersten Teil, der Spaß. Es entstehen witzige Situationen am laufenden Band, wenn Marcus sich in die Häuser von prominenten aber kriminellen Personen einhackt und diese mit allen möglichen Streichen in den Wahnsinn treibt. Hier ein Virus auf den Rechner, da die Festplatte formatieren, oder auch mal die Stereoanlage laut aufdrehen. Natürlich wird oft noch alles auf Video aufgezeichnet und im Internet veröffentlich, damit die Person endgültig blamiert ist. Die Veröffentlichung von brisanten Dokumenten sorgt dann dafür, dass so mancher Manager seinen Job verliert. DedSec will den großen Konzernen an den Kragen und kriminelle Machenschaften offenlegen, aber nicht durch Waffengewalt, sondern durch Intelligenz und damit verbunden das Hacken. Folglich kommt man im kompletten Spiel ohne Schusswaffen aus, was im ersten Teil noch unvorstellbar war. Man kann zwar Waffen von Feinden aufsammeln oder sogar mit einem 3D-Drucker selbst welche herstellen und Watch Dogs 2 als einen gewöhnlichen Deckungs-Shooter spielen, aber das wäre jedenfalls mir zu langweilig und würde auch nicht zum Spiel passen.
Das Hacken ist nämlich so mächtig, dass es einem manchmal schon übermächtig vorkommt. Wenn ihr die entsprechenden Skills erlangt habt, müsst ihr selbst gar nicht mehr kämpfen. Eure zwei mächtigsten Helfer sind ein kleiner fahrender Roboter und ein Quadrocopter. Mit diesen könnt ihr feindliche Gebiete auskundschaften, an sonst unerreichbare Orte gelangen und natürlich alles Hacken, was in Sichtreichweite ist. Der Roboter kann sogar physische Hacks durchführen und Gegenstände einsammeln, was sonst nur Marcus selbst kann. Mit entsprechenden Upgrades kann der Quadrocopter sogar Elektroschock-Granaten und explosive Granaten auf Gegner fallen lassen, die diesen schutzlos ausgeliefert sind – einfach ein Genuss. Diesen Genuss kann man auch Schadenfreude nennen, und das zieht sich durch den kompletten Spielverlauf. “Schadenfreude – Das Spiel” wäre auch ein passender Titel. Gerade weil man als Marcus keinen Finger rühren muss und trotzdem so viel Schaden anrichten kann, macht Watch Dogs 2 so viel Spaß. Ihr könnt z.B. jedes Fahrzeug, egal ob fahrend oder abgestellt, abrupt und mit Vollgas nach links, rechts, vorwärts oder rückwärts fahren lassen. Wer dabei im Weg steht, wird “leider” überfahren. Allein damit könnte ich mich stundenlang bestens unterhalten. Ein Tipp, falls ihr gerade Polizisten bei einer Festnahme beobachtet: Wartet, bis die Beamten den Verbrecher zum Polizeiauto geführt haben und lasst das Auto dann vor ihrer Nase wegfahren. Immer wieder. Herrlich. Dazu könnt ihr, die entsprechenden Skills vorausgesetzt, auf jede Person im Spiel eine der Straßengangs und/oder die Polizei hetzen, indem ihr ihnen falsche Informationen liefert. Daran sieht man, wie verheerend (Falsch-)Informationen sein können.


Wir stellen uns folgendes Szenario vor: Wir sollen einen Computer hacken, der sich in einem bewachten Gebäude befindet. Das Gelände um das Gebäude herum ist ebenfalls von Söldnern oder Gangmitgliedern bewacht. Wir stellen uns also außerhalb des Geländes hin und lassen den Quadrocopter fliegen. Mit diesem bekommen wir schnell einen Überblick und alle Gegner werden markiert. Wir bleiben in der Quadrocopter-Ansicht und hetzen per Knopfdruck eine Gang auf einen Gegner, der möglichst nah am Ziel-Computer steht. Kurz darauf kommen mit quietschenden Reifen schon die Auftragskiller an und es gibt eine ordentliche Schießerei. Beide Seiten können übrigens Verstärkung anfordern, was die Sache noch lustiger macht. Wir warten, bis der Smartphone-Akku wieder voll ist, und hetzen nun auch noch die Polizei auf irgendeinen Gegner da unten. Die Beamten kommen an, finden sich im Kreuzfeuer der zwei Gangs wieder und schießen auf alles, was schießt. Die Polizei fordert übrigens auch gern Verstärkung an, bestenfalls vom gut gepanzerten SWAT-Team. Währenddessen sitzt ihr als Marcus seelenruhig mit dem Laptop vor dem Gelände und beobachtet das Schauspiel aus der Luft. Ab und zu greift ihr mit kleinen Hacks ins Geschehen ein, z.B. könnt ihr Granaten am Gürtel der Gegner explodieren lassen oder quietschende Störgeräusche in deren Headsets auslösen. Wenn die Kettenreaktion dann vorbei ist und nur noch Leichen und Autowracks übrig sind, spaziert ihr zum Computer, hackt diesen und die Mission ist erledigt.


Gut, das ist dann doch nicht so gewaltlos und passt vielleicht auch nicht so ganz zum Charakter Marcus Holloway. Zum Glück ist Watch Dogs 2 aber ein Spiel, in dem man selbst entscheiden darf, wie man vorgeht. Dadurch, dass man durch das Hacken unbemerkt agieren kann, wird man nur noch selten von der Polizei gejagt – das war im ersten Teil noch ganz anders. Skills, die dazu gedacht sind, der Polizei zu entkommen, kann man also ignorieren und die Punkte in nützlichere Fähigkeiten stecken. Die Nahkampfwaffe von Marcus ist übrigens eine Billardkugel an einem Bungeeseil. Klingt bescheuert, ist aber kurioserweise sehr stark im Kampf gegen einzelne Gegner. Dazu nähert ihr euch dem Gegner, hackt kurz sein Handy/Headset, sodass er abgelenkt ist, und drückt in seiner Nähe einfach die Schlagtaste. Dadurch wird er entweder erwürgt oder erschlagen, in beiden Fällen ist er also sofort tot! Eine effektive, aber etwas zu einfache Methode.
Die Fahrzeugsteuerung scheint nun etwas besser als im Vorgänger zu sein und es gibt auch mehr Fahrzeuge als früher. Dennoch hat das Fahren keinen so hohen Stellenwert wie z.B. in der GTA-Serie, weil es sehr viele Schnellreisepunkte gibt, die auch sofort verfügbar sind. So spart man sich einiges an Zeit. Überraschend kurz sind auch die Ladezeiten auf der PS4, das ist man auf einer Konsole gar nicht mehr gewohnt. Die Grafik ist qualitativ ähnlich wie in GTA 5 Remastered, wobei vor allem das Wasser schön aussieht.
Besonders loben möchte ich Ubisoft für die Radiosender und die Musik allgemein. So viele Tracks wie in GTA 5 sind es natürlich nicht, aber die lizensierte Musikauswahl finde ich im Gegensatz zum Vorgänger sehr gelungen. Es gibt teils bekannte, teils nicht so bekannte Songs aus Genres wie Pop, Electro, Hip Hop und Rock, sodass man einige neue Interpreten und Tracks für sich entdecken kann. Am besten und auch passendsten zum Hacker-Szenario finde ich den Electro-Sender. Jeder Song kann dazu noch einzeln per Smartphone angehört werden. Außerdem wurde der exzellente Electro-Soundtrack für die Hauptmissionen (und das Hauptmenü) von Hudson Mohawke produziert, der schon für Hip Hop-Größen wie Kanye West, Drake und Pusha T produzierte.
Fazit
Watch Dogs 2 ist das Spiel, das der Vorgänger schon hätte sein sollen. Hacken ist endlich das, was es sein sollte, nämlich sehr nützlich und mächtig. Glaubt mir, ihr werdet irre lachen vor lauter Schadenfreude. Die Hauptcharaktere sind interessant und gehen nicht mehr auf die Nerven. Ubisoft hat sich anscheinend auch einige Dinge von Rockstar abgeschaut, und das ist gut so. Denn Watch Dogs 2 hat Humor, zahlreiche popkulturelle Anspielungen und übt auch Gesellschaftskritik. So gibt es den von Google inspirierten Konzern Nudle, dessen App “Nudle Maps” auch als Karte im Spiel dient. Im Silicon Valley findet man sogar ihr Hauptquartier, so wie in der echten Welt das von Google. Nettes Easteregg: In einer Nebenmission hackt man sich ins Bürogebäude von Ubisoft San Francisco, das tatsächlich in dieser Form in San Francisco existiert. Ihr müsst auch nicht mehr ständig mit dem gleichen Kleidungsstil herumrennen, sondern könnt euch in den vielen Klamottenläden austoben. Vom edlen Anzug mit Hut bis zum ultimativen Hipster-Outfit ist alles dabei. Die Musik, die man per Ingame-Smartphone jederzeit (und nicht nur im Auto) hören kann, ist außerdem super und trägt viel zur Atmosphäre bei. Vergesst am besten den Vorgänger und geht unvoreingenommen an den Titel ran. Dann habt ihr auch am meisten Spaß.
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