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The Last Guardian

The Last Guardian, ursprünglich als PS3-Titel geplant, war seit 2007 in Entwicklung und war schon zum Running Gag á la Duke Nukem Forever geworden, denn an einen Release glaubte niemand mehr so richtig. Doch dann kam die erneute Ankündigung auf der E3 2015, und der Hype war wieder da. Jetzt ist er also endlich erschienen, der inoffizielle Nachfolger von Ico und Shadow of the Colossus. Das Entwicklerstudio Team Ico existiert zwar nicht mehr, aber Fumito Ueda und Teile seines früheren Teams haben bei der Entwicklung von The Last Guardian dennoch bis zum Ende mitgewirkt. Ist es also ein weiterer Kracher geworden?

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Zuerst muss gesagt werden, dass jedes Spiel nach einer so langen Entwicklungszeit einige Menschen enttäuschen muss, weil die Erwartungen in all den Jahren ins Unermessliche steigen. Auch sind dermaßen lange Verschiebungen oft ein schlechtes Omen für das Endprodukt. Das wird hier teilweise bestätigt, doch beginnen wir am Anfang. In The Last Guardian spielt ihr einen kleinen namenlosen Jungen, der in einer Burg aufwacht. Wie ihr dahingekommen seid, verrät das Spiel vorerst nicht. In der Nähe findet ihr ein riesiges Wesen, das eine Kombination aus Fuchur, Hund und Vogel mit Hörnern ist, mit dem Namen Trico. Er ist am Boden festgekettet, wirkt geschwächt und ist scheinbar verletzt, denn Speere stecken in seinem Körper. Also zieht ihr ihm die Speere heraus, was gar nicht so einfach ist, denn Trico reagiert auf den Jungen zuerst sehr aggressiv. Ist das geschafft, bemerkt ihr ein paar bläulich glühende Fässer sind in der Nähe. Trico scheint an diesen interessiert zu sein, also schleppt ihr sie zu ihm. Siehe da, er frisst sie und gewinnt mit jedem Fass an Stärke zurück. Was auch immer in den Fässern ist, es scheint Nahrung für ihn zu sein. Zuletzt öffnet ihr das Schloss seiner Ketten und Trico ist frei. Von da an sind der Junge und Trico gemeinsam unterwegs. Das Ziel der Reise bleibt lange unbekannt.

Eine erwachsene, männliche Erzählstimme erzählt ab und zu in der Ich-Form, was gerade passiert und was zu tun ist. Diese Erzählstimme ist also der Junge als Erwachsener, der offenbar über sein vergangenes Abenteuer erzählt. Doch dieser erzählt längst nicht genug, daher werdet ihr oft grübeln müssen, wohin ihr müsst und wie es weitergeht. Man merkt deutlich, dass dieses Spiel für eine andere Videospiel-Ära geplant war. Hier wird so gut wie nichts erklärt, es gibt keine “Karte” und es gibt keine Tipps. Es bleibt euch also nichts anderes übrig als alles auszuprobieren und daraus zu lernen. An welchen Kanten kann der Junge sich festhalten, an welchen nicht? Wie kann er sich gegen Gegner wehren, wenn überhaupt? Wozu ist Trico in der Lage?

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Immer wieder müssen Rätsel gelöst werden, um weiterzukommen. Das sind manchmal Physikrätsel, manchmal muss geklettert werden, manchmal müssen gute alte Hebel betätigt werden. Dabei sind der Junge und Trico fortlaufend aufeinander angewiesen, und ab einem gewissen Punkt könnt ihr Trico sogar Befehle geben. Ein Beispiel: Wir sind in einem Raum, dessen Ausgang von einem großen Falltor versperrt wird. Weiter oben in diesem Raum ist eine weitere kleine Öffnung, doch sie ist zu hoch gelegen für den Jungen, und Trico ist zu groß, um durchzupassen. Also befiehlt ihr Trico dazu, sich gegen die Wand aufzurichten. An ihm könnt ihr hochklettern (an seinen Federn und Fell könnt ihr euch jederzeit festhalten), durch die kleine Öffnung hüpfen und den Hebel dahinter betätigen, um das Tor zu öffnen.

Das mit den “Befehlen” ist allerdings so eine Sache. Trico kann nicht sprechen (der Junge spricht übrigens eine Fantasiesprache), also werden Befehle durch Gesten und Laute gegeben. Keine Angst, ihr müsst diese Gesten nicht mit dem Controller machen, dafür reichen Tastenkombinationen. Wenn Trico z.B. irgendwohin springen soll, drückt ihr R1 und Dreieck und schaut dabei in die Richtung, in die er springen soll. Doch Trico macht oft einfach gar nichts. Oder er macht etwas anderes. Das ist auch volle Absicht der Entwickler, denn echte (Haus-)Tiere machen ja auch nicht immer das, was man ihnen sagt – zumindest nicht von Anfang an. Und tatsächlich gehorcht Trico im Laufe der Zeit immer besser. Doch dadurch ist man sich nie ganz sicher, ob man gerade den falschen Befehl gegeben hat, ob das Spiel einen Bug hat, oder ob Trico meine Befehle gekonnt ignoriert. Oft saß ich auf dem Rücken von Trico und gab den Befehl zum Sprung auf die nächste Säule oder Klippe, weil es so aussah, als wäre es der richtige Weg. Trico sah sich die Landschaft an und gab die üblichen Laute von sich, tat aber sonst nichts. Ich wiederholte den Befehl einige Male und wartete. Er tat immer noch nichts. “Hm, vielleicht geht es doch nicht hier weiter”, dachte ich und sprang von Trico ab, um die Gegend nach einem alternativen Weg zu erkunden. Kaum war ich auf dem Boden gelandet, führte Trico meinen Befehl plötzlich doch aus und sprang auf diese Säule, nur eben ohne mich. Der Weg war also doch richtig gewesen. Nun musste ich Trico wieder zu mir zurückrufen, um wieder auf ihn zu klettern, um dann wieder den Sprung zu befehlen und zu hoffen, dass er diesmal gehorcht. Das mag zwar sehr realistisch für ein Tier sein, aber will man derart frustrierenden Realismus in einem Videospiel, das vorrangig Spaß machen soll?

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“Frust” ist ein gutes Stichwort, denn bei The Last Guardian muss man als Spieler wirklich masochistisch veranlagt sein, um nicht irgendwann den Controller an die Wand zu schmeißen, die PS4 anzuzünden und nach versuchter Brandstiftung in die Psychiatrie eingeliefert zu werden. Nicht nur Tricos Ungehorsam zehrt an den Nerven, auch die Steuerung. Der Junge steuert sich wie eine Marionette, stolpert über jede noch so kleine Unebenheit auf dem Boden und muss sich immer in einer quälend ausführlichen Animation wieder aufrappeln. Wollt ihr an Tricos Federkleid hochklettern, dauert das auch eine gefühlte Ewigkeit. Die Gegner im Spiel, die immer die Form von wandelnden Rüstungen haben, wollen den Jungen nicht direkt töten, sondern einfangen und “wegbringen”, was dann ein Game Over bedeutet. Wenn man mal gepackt wurde, kann man sich nur befreien, indem man wild zappelt, d.h. ebenso wild beliebige Tasten auf dem Controller hämmert. Dann wird man fallengelassen und…braucht wieder eine gefühlte Stunde, um sich aufzurappeln und wegzurennen. Bis man endlich auf den Beinen ist, wird man manchmal schon wieder eingefangen. Und welcher Entwickler auch immer für die Fassrätsel verantwortlich ist, soll bitte in der Hölle schmoren. Nicht nur am Anfang des Spiels, sondern immer wieder muss Trico mit einem oder mehreren Fässern gefüttert werden, damit es weitergeht. So weit, so gut. Einige dieser Fässer sind jedoch so platziert, dass man sie immer wieder auf höhere Plattformen werfen muss, bis sie für Trico zugänglich sind. Der typische Wurf des Jungen geht etwa zwei Meter weit und mangels eines “Fadenkreuzes” weiß man nie, wo genau das Fass landen wird. Ständig wirft man zu weit rechts, zu weit links, nicht weit genug, oder man trifft, aber das Fass rollt wieder herunter. Jedes Mal darf man komplett von vorne anfangen. Solche “Rätsel”, die überhaupt kein Denken erfordern, sondern nur durch eine unpräzise Steuerung künstlich schwer gemacht sind und zig Versuche erfordern, sind für mich reine Schikane und Zeitstreckung. Ja, die unpräzise Steuerung soll angeblich auch “Absicht” sein, aber etwas absichtlich Schlechtes ist immer noch schlecht.

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Wenn Trico aber mal tut, was er soll, oder sogar von alleine den Weg findet, kommen die magischen Momente zum Vorschein. Dann wird die Symbiose zwischen dem Jungen und Trico deutlich. Dieser ist groß und stark, und kann den Jungen vor Gegnern beschützen und weite Sprünge machen. Der Junge wiederum ist klein und flink, und kann ihm nach dem Kampf die Speere aus dem Leib ziehen und ihn mit Futter versorgen. Streicheln kann man Trico natürlich auch, und das ist nach Kämpfen meist auch dringend nötig, damit er sich wieder beruhigt. Die “Story” wird sozusagen durch die Interaktion der beiden und ihre Erlebnisse erzählt. Dialoge gibt es gar keine, nur wenige Monologe, und so muss man eigene Schlüsse aus den Ereignissen ziehen. Das ist, wie so vieles in The Last Guardian, Geschmackssache.

Negativ anzumerken ist leider die Framerate. Selbst wenn ihr denkt, dass ihr niedrige Framerates nicht bemerkt – hier werdet ihr es bemerken. Gerade in den riesigen und beeindruckenden Außenarealen im Spiel bewegt sich alles plötzlich mit einem leichten Zeitlupeneffekt. Die FPS fallen an manchen Stellen auf magere 20 herab. Auf der PS4 Pro soll es angeblich flüssiger laufen, aber nur im 1080p-Modus. Das ist gerade für einen PS4-Exklusivtitel keine herausragende Leistung. Hier zeigt sich der Nachteil einer überlangen Entwicklungszeit und des Plattformwechsels.

Die Kamera ist ebenfalls nicht euer Freund. Mit der Körpergröße von Trico haben es sich die Entwickler nicht leicht gemacht, denn er und der Junge müssen durch so einige enge Tunnel und Durchgänge, wo Trico noch gerade so durchpasst. Für die Kamera ist dann überhaupt kein Platz mehr und ihr seht oft wortwörtlich nur noch schwarz – oder Tricos Federkleid in Großaufnahme. Wenn ihr auf Trico reitet, wird ein weiteres Dilemma sichtbar: Der Junge ist klein, also muss die Kamera näher ran. Aber dann sieht man von Trico nur noch die Hälfte, also muss die Kamera weiter weg. Im gesamten Spielverlauf werdet ihr also damit beschäftigt sein, die Kamera auszurichten. Das sei den Entwicklern aber verziehen, denn ein so großes und komplex animiertes Wesen wie Trico bringt von Natur aus Probleme mit sich. Andere Studios wären dieses Risiko gar nicht erst eingegangen.

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Fazit

The Last Guardian ist ein schwieriger Fall. Die Symbiose zwischen Trico und dem Jungen ist toll dargestellt, und Trico wirkt wie ein echtes Lebewesen mit eigenem Willen, dessen Verhalten Haustierbesitzern bekannt vorkommen könnte. Tierliebhabern und Fans von Ico und Shadow of the Colossus kann es wärmstens empfohlen werden, aber der Rest wird sich schwer tun. Nicht nur muss man mit dem typischen Design-Stil von Fumito Ueda klarkommen, bei dem viele andere Aspekte zugunsten der zwei Hauptfiguren vernachlässigt werden, man muss auch eine Menge Geduld und Nerven mitbringen. Ja, das Verhalten von Trico und die Steuerung des Jungen mögen realistisch und authentisch sein, aber wollen wir den Frust der Realität wirklich auch noch in unseren Videospielen haben? Außerdem wirkt es technisch und spielerisch teilweise altbacken, was bei der Entwicklungszeit auch kein Wunder ist. Zum Beispiel ist Dreieck die Sprungtaste, was noch ein Relikt aus längst vergangenen PS2-Zeiten ist. Der Release von The Last Guardian war nichtsdestotrotz lange überfällig, das Ding musste einfach raus. Jetzt ist es endlich da, wir können Freude und Frust damit haben, und dann können wir dieses Spiel genüsslich ins Regal stellen und abhaken.

Der Beitrag The Last Guardian erschien zuerst auf Gameothek.


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